Chancellorsville 1863: Kühner Bluff bescherte Südstaatlern den Sieg - WELT (2024)

Anzeige

Joseph Hooker mangelte es nicht an Selbstvertrauen. Als er Ende April 1863 seiner Potomac-Armee den Befehl zum Vormarsch gab, erklärte er vollmundig über seinen konföderierten Gegner: „Möge Gott General Lee gnädig sein, denn ich werde es nicht sein.“ Vier Tage später bemühte ein verzweifelter US-Präsident Abraham Lincoln ebenfalls die höchste Autorität: „Oh Gott, oh Gott, was wird das Land sagen.“ Denn der Norden hatte seine schwerste Niederlage im Amerikanischen Bürgerkrieg erlitten.

Anzeige

Während sich auf dem westlichen Kriegsschauplatz am Mississippi die Unionsarmee unter Ulysses S. Grant langsam, aber erfolgreich an die Südstaatenfestung Vicksburg heranarbeitete, war es im Osten ruhig geblieben. Potomac- und Lees Nord-Virginia-Armee hatten sich von den schweren Verlusten erholt, die die Kämpfe um Fredericksburg im Dezember 1862 gefordert hatten. Das prominenteste Opfer wurde Unionsoberbefehlshaber Ambrose Burnside. Nach seiner Niederlage war er von Lincoln durch seinen Untergebenen Hooker ersetzt worden.

Chancellorsville 1863: Kühner Bluff bescherte Südstaatlern den Sieg - WELT (1)

Der 40-jährige West-Point-Absolvent hatte alles andere als einen untadeligen Ruf. Sein Hauptquartier war ein Ort, „den ein Mann von Selbstachtung nicht aufsuchen wollte und eine anständige Frau nicht aufsuchen sollte“, erklärte ein Zeuge. „Es war eine Mischung aus Bar und Bordell.“ Seinen Soldaten sahen das allerdings anders. Ihre Moral stieg, weil inkompetente Quartiermeister entlassen, die Versorgung verbessert und Heimaturlaub gewährt wurden. Niedergeschlagenheit wich neuem Kampfgeist.

Hookers wirksamste Maßnahme war die Neuorganisation der Armee. Die Grand-Divisions seines Vorgängers wurden wieder auf Korpsgröße reduziert. Vor allem aber wurde die Kavallerie zu einem eigenständigen Verband zusammengefasst, der sich bald der Reiterei des Südens als ebenbürtig erweisen sollte. Mit 110.000 Mann brach Hooker am 26. April auf, um endlich die konföderierte Hauptstadt Richmond in Virginia zu nehmen. Anschließend, hieß es, wolle er sich um das Amt des Präsidenten bewerben.

Chancellorsville 1863: Kühner Bluff bescherte Südstaatlern den Sieg - WELT (2)

Dem konnte sein Gegner Robert E. Lee nur 60.000 Soldaten entgegenstellen. Und die Natur. Denn in einer aufgegebenen Kulturbrache südlich des Rappahannock River war ein beinahe undurchdringliches Dickicht entstanden, die „Wilderness“. In ihr waren Bewegungen größerer Truppenverbände ebenso schwierig wie der Überblick über das großräumige Kampfgeschehen. Ausgerechnet in dieser Gegend wollte Hooker seinen Gegner zur Schlacht stellen.

Doch anstatt seinem Spitznamen „Fighting Joe“ Ehre zu machen und mit seiner Übermacht Lee direkt anzugehen, legte Hooker eine merkwürdige Zurückhaltung an den Tag. Vielleicht witterte er eine Falle, vielleicht nagte bereits die Erinnerung an die Niederlagen seiner Vorgänger an ihm oder, wie es ein Offizier formulierte, machte sich einfach ein Charakterzug bemerkbar: „Hooker war der beste Pokerspieler, den ich kannte, bis zu dem Punkt, an dem er um 1000 hätte erhöhen sollen – dann machte er schlapp.“

Chancellorsville 1863: Kühner Bluff bescherte Südstaatlern den Sieg - WELT (3)

Anzeige

Anstatt also vorzustoßen, verharrte er mit dem Gros seiner Truppen im Wald, während er seinen General John Sedgwick zum 15 Kilometer entfernten Fredericksburg schickte. Das Teilen der Armee kostete ihn 30.000 Mann – und das Vertrauen seiner Offiziere, die die Wilderness endlich hinter sich lassen wollten, um ihre zahlenmäßige Überlegenheit auszuspielen.

Auf der Gegenseite setzte Lee darauf, dass Hooker weiterhin den Zauderer geben würde. Als ihm gemeldet wurde, dass die westliche Flanke der Union „in der Luft“ hing, eröffnete er „das gewagteste Spiel, das Lee jemals gespielt hatte“, schreibt der Bürgerkriegsspezialist James M. McPherson. Er beorderte mit Thomas „Stonewall“ Jackson seinen besten General samt 30.000 Mann zu einem 20 Kilometer langen Flankenmarsch, um den Gegner weiträumig zu umgehen.

Während Lee am 2. Mai mit ganzen 15.000 Soldaten vor Hookers Front stehen blieb und auf die Untätigkeit der Union baute, bahnte sich Jackson mit seiner auch als „Fußkavallerie“ bekannten Truppe einen Weg durch Gestrüpp und über umgestürzte Bäume. Zwar wurde der Marsch auf der Gegenseite durchaus erkannt, aber Hooker war längst überzeugt, dass Lee den Rückzug vorbereitete und bürstete die Nachricht als „schmächliche Flucht“ ab.

Anzeige

Anzeige

Als Jacksons Leute in endgültig zerschlissenen Uniformen am frühen Abend ihren Angriff vortrugen, trafen sie auf völlig unvorbereitete Nordstaatler. Deren 11. Korps, das sich soeben zum Abendessen versammelte, rekrutierte sich überwiegend aus Deutschstämmigen, denen noch nicht die Aura von Bismarcks Siegen in den „Einigungskriegen“ das Image verliehen hatte, besonders kampfkräftig zu sein. Ihre bisherigen Leistungen im Bürgerkrieg hatten dem „Dutch Corps“ eher das gegenteilige Urteil eingetragen.

Chancellorsville 1863: Kühner Bluff bescherte Südstaatlern den Sieg - WELT (5)

„Wir standen in einem furchtbaren Hagelsturm von Spitzkugeln, Granaten, Vollkugeln, Caseshots und Spitzgeschossen gezogener Kanonen“, erinnerte sich Friedrich Hecker, der 1848/49 als Revolutionsführer in Baden bekannt und als Emigrant in den USA zum Oberst aufgestiegen war. „Kein Korps der Welt von so geringer Zahl und solcher Aufstellung hätte den Feind aufhalten können.“ Das hielt die Unionsgeneräle jedoch nicht davon ab, die Deutschen „dem Volk als Sündenbock“ vorzuführen.

Immerhin gelang es Hooker, in der Nacht eine neue Verteidigungslinie aufzubauen. Obwohl er drei ganze Korps in Reserve hatte, traute er sich jedoch nicht, am folgenden Tag gegen die Konföderierten vorzugehen. Als die wiederum attackierten und Hooker durch eine Detonation kurzfristig das Bewusstsein verlor, gab sein Stellvertreter den Befehl zum Rückzug. Damit wurden auch die Geländegewinne zur Makulatur, die Sedgwick 15 Kilometer entfernt bei Fredericksburg erzielt hatte. Am 4. Mai befahl auch der den Rückzug hinter den Rappahannock.

Chancellorsville 1863: Kühner Bluff bescherte Südstaatlern den Sieg - WELT (6)

Zu seinen Gunsten konnte Hooker immerhin ins Feld führen, dass seine Armee einigermaßen intakt geblieben war. Als er sich aber anschließend weiterhin weigerte, seinem Spitznamen gerecht zu werden und stattdessen den Kontakt zu Lee verlor, ersetzte Lincoln ihn durch George Gordon Meade.

Auf der anderen Seite sahen sich die Südstaatler in ihrer Überzeugung bestätigt, es mit jeder Unionsarmee aufnehmen zu können. Das fand auch Lee, der nun den Plan zu einem entscheidenden Offensivstoß fasste. Obwohl er bei Chancellorsville mit 13.000 Toten und Verwundeten (gegenüber 17.000 der Union) fast ein Viertel seiner Armee verloren hatte, wollte er in den Norden einmarschieren, damit die Potomac-Armee zur Verfolgung zwingen und in offener Feldschlacht endgültig vernichten.

Sie wollen Geschichte auch hören? „Attentäter“ ist die erste Staffel des WELT-History-Podcasts.

Hier können Sie unsere WELT-Podcasts hören

Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Podcast freigeben

Auch seine siegreichen Veteranen trauten sich dieses Vabanquespiel zu. Allerdings war einer von ihnen nicht mehr dabei. Der charismatische „Stonewall“ Jackson war im Pulverdampf seines Sieges von den eigenen Leuten angeschossen worden und kurz darauf im Lazarett gestorben. Bei Gettysburg, wo Anfang Juli tatsächlich das entscheidende Treffen des Bürgerkriegs stattfand, sollte sein Fehlen erhebliche Konsequenzen haben.

Sie finden „Weltgeschichte“ auch auf Facebook. Wir freuen uns über ein Like.

Chancellorsville 1863: Kühner Bluff bescherte Südstaatlern den Sieg - WELT (2024)
Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Rev. Porsche Oberbrunner

Last Updated:

Views: 6411

Rating: 4.2 / 5 (73 voted)

Reviews: 80% of readers found this page helpful

Author information

Name: Rev. Porsche Oberbrunner

Birthday: 1994-06-25

Address: Suite 153 582 Lubowitz Walks, Port Alfredoborough, IN 72879-2838

Phone: +128413562823324

Job: IT Strategist

Hobby: Video gaming, Basketball, Web surfing, Book restoration, Jogging, Shooting, Fishing

Introduction: My name is Rev. Porsche Oberbrunner, I am a zany, graceful, talented, witty, determined, shiny, enchanting person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.